3 PARTIZIPATION! UND NUN?

Brückenbauer:innen und Netzwerkarbeiter:innen

Carolin Lahode

Das Thema Bürger:innenbeteiligung fand bereits in den 1970er-Jahren seinen Eingang in die Stadtentwicklung und wurde seitdem zu einem immer wichtigeren Aspekt in der Planung. Teilweise scheint es heute, als wären städtische Planungsprozesse nur mit ausreichender Kommunikation untereinander und Konsens aller Betroffenen erfolgreich (Bischoff/Selle/Sinning 2007). Die formelle Beteiligung der Öffentlichkeit ist laut Baugesetz (§3, §4 BauGB) vorgeschrieben und auch im Grundgesetz (Art. 9) lassen sich Formen von Teilhabe finden. Hinzu kommen in den letzten Jahren immer mehr informelle Formate und andere alternative Beteiligungsstrukturen. Vielerorts haben die Planenden erkannt, dass die Möglichkeit zur Ermächtigung sowie direkten Mitwirkung und Gestaltung von Bürger:innen an ihrem Lebensumfeld einen Beitrag zur Lebensqualität und Vielfalt der Städte leistet (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) 2020).

Diese schillernde Beschreibung könnte vermuten lassen, dass die Durchführung von Beteiligungsprozessen grundsätzlich ein erfolgreiches Unterfangen sei und Gewinne auf allen Seiten produziere. Es gibt jedoch auch eine Kehrseite: Beteiligung überfordert – und zwar nicht nur die Bürger:innen. Ihnen bleiben Planungsprozesse und -schritte oft unverständlich, sie überschätzen ihre Zeitkapazitäten und unterschätzen den Aufwand, der zur Verfolgung eines oft Jahre bis Jahrzehnte andauernden Prozesses notwendig ist. Auch auf Seiten der Beteiliger:innen ist oft nicht klar, was mit den meist sehr umfangreichen Wünsche- und Interessensammlungen im Nachhinein genau passieren soll. Planungsinstrumente und Beteiligung passen in diesem Punkt nicht zusammen, denn die detaillierten und alltagsnahen Wünsche von Akteur:innen können nur schwer in einem Planungsschritt Gehör finden, der in der Rahmenplanung noch auf übergeordneter Ebene stattfindet. Fehlende Zuständigkeiten führen dann oft dazu, dass solche Beteiligungsergebnisse versanden. Das erzeugt Frustration und Resignation im Hinblick auf weitere Partizipation bei den Beteiligten (Selle 2011).

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Folgt man den Ausführungen von Selle, gelangt man zu der Überzeugung, dass Beteiligung tiefer gehen muss. Es braucht neue Methoden der Einbindung von Akteur:innen sowie neue Strukturen in der Verwaltung, um dringende Fragen zu Zuständigkeiten und Trägerschaften zu klären. Geht es um Partizipation, hält sich hartnäckig die allgemeine Erwartungshaltung, dass alle jederzeit an allem beteiligt werden müssten. Jedoch ist das, wie nicht zuletzt Alcántara, Quint und Seebacher (2018) in der Reallaborarbeit festgestellt haben, weder für die beteiligten Akteur:innen noch den Prozess zielführend. Dagegen baut der Erfolg einer partizipativen Entwicklung vielmehr auf Kontinuität, Kooperation, Dialog und Vertrauen im Prozess. Moderierende Akteur:innen, die in Beteiligungsprozessen eine wichtige verbindende Funktion zwischen Planung und Zivilgesellschaft einnehmen, verschwinden nach abgeschlossenem Verfahren oft wieder von der Bildfläche (Selle 2011). Um diese Lücke zu füllen und auf oben genannten Erfolgsfaktoren aufzubauen, ist es deshalb wichtig, ebenso auf intermediäre Strukturen zurückzugreifen und diese zu unterstützen. Intermediäre Strukturen sind Schnittstellen und »Katalysatoren im System« und meinen damit nicht nur bewährte Formate wie Parteien oder Genossenschaften, sondern auch zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine (Beck/Schnur 2016). Sie können klassische Beteiligungsformate nicht ersetzen, sind jedoch eine wertvolle Ergänzung und Erleichterung, wenn es um dauerhafte und direkte Einbindung ziviler Akteur:innen geht (Bischoff/Selle/Sinning 2007). Sie nehmen damit eine Schlüsselfunktion ein.

Da intermediäre Strukturen vielfältige Ausprägungen und Zielsetzungen haben können, sind sie oftmals nicht gleich offensichtlich und leicht auszumachen. Nicht nur deshalb ist es wichtig, die am Prozess zu beteiligenden Akteur:innen zu kennen und zu verstehen. Ein genaues Verständnis der Belange und lokalen Bedürfnisse hilft der Ausgestaltung und Effizienz des Partizipationsprozesses. Eine im Sinne der Partizipationsforschung angepasste Variante der Akteur:innenanalyse kann dabei helfen, intermediäre Schlüsselakteur:innen, Vetoplayer und marginalisierte Akteur:innen zu identifizieren, da nicht alle Betroffenen in gleichem Maße relevant für einen Beteiligungsprozess sind. Das Verständnis über Motivation, Interessen, aber auch Zielkonflikte ist außerdem nützlich, um in der Planung frühzeitig und mit bestem Blick auf das Gemeinwohl zu reagieren (Eckart u. a. 2018).

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• STUTTGART 21 – EINE LEIDENSGESCHICHTE

Was die Entwicklung der Beteiligung in der Stadtentwicklung betrifft, ist Stuttgart als glühendes Beispiel in die Geschichte eingegangen – im negativen Sinne. Die über 10 Jahre andauernden, kontinuierlichen Proteste gegen das Großprojekt Stuttgart 21 prägten weit über die Stadtgrenzen hinaus einen neuen Begriff für ein im Planungsprozess störendes Individuum – den »Wutbürger« (Selle 2011). Nicht zuletzt die Ereignisse am »Schwarzen Donnerstag«, die landesweit im Fernsehen übertragen wurden, machten deutlich, dass es so damals nicht weitergehen konnte. Seitdem herrscht immenser Erwartungsdruck auf dem Bahnhofsprojekt und der damit zusammenhängenden Rosensteinentwicklung. Nachdem bereits 1997 die erste offene Bürger:innenbeteiligung zur städtischen Rahmenplanung durchgeführt worden war, intensivierten sich die Beteiligungsbemühungen 2016 in Vorbereitung zum internationalen städtebaulichen Wettbewerb Rosenstein, der für die freiwerdenden Gleisflächen ausgerufen wurde, noch einmal. Über verschiedene Formate wie das Forum Rosenstein als Vermittlung zwischen Politik und Stadtgesellschaft, Expert:innenworkshops, öffentlichen Veranstaltungen sowie weiteren offenen Formaten, die von Bürger:innen vorgeschlagen und gestaltet werden konnten, entstand eine umfassende Sammlung von Interessen und Wünschen zum neuen Viertel. Das aus diesen Erkenntnissen zusammengefasste Memorandum Rosenstein bot letztendlich die Grundlage für die Wettbewerbsausschreibung (LHS 2022b). Die Beteiligungsstrategie der Stadt wurde langfristig angelegt. Nach Entscheid des städtebaulichen Wettbewerbs durch den Siegerentwurf der Arbeitsgemeinschaft asp Architekten und Koeber Landschaftsarchitektur wurden bereits 2020 eine Akteur:innenbeteiligung für die »Maker City«, den ersten Bauabschnitt in C1, und 2022 eine weitere offene Bürger:innenbeteiligung für das Rosensteinquartier durchgeführt. 2021 eröffnete die Ausstellung Stuttgart Rosenstein, in der Bürger:innen interaktiv durch ein riesiges Stadtmodell mit Kartenfunktion am aktuellen Planungsprozess teilhaben können. So vielseitig die Formate und Ergebnisse der offenen Beteiligung waren und so kontinuierlich der Prozess gedacht ist, scheint eines bisher nur am Rande betrachtet worden zu sein – nämlich, dass es neben all den zukünftigen Bewohner:innen des Viertels und den Eidechsen schon jetzt konkret betroffene Anwohner:innen des Großprojektes gibt.

• DORNRÖSCHENSCHLAF AM NORDBAHNHOF

Städtebaulich ist das Nordbahnhofviertel vom zukünftigen Rosenstein eingekesselt. Auf dem aktuellen Rahmenplan sind zwei baumbestandene Verbindungswege zwischen Rosensteinviertel und »Maker City« verzeichnet, die sich wie Schneisen durch das Bestandsviertel schlagen. Eine Anbindung des Quartiers an die umliegende Nachbarschaft, vor allem zu den Wagenhallen, ist sicherlich sinnvoll und im Zuge der Entwicklung auch unumgänglich. Jedoch zeigt genau dieser Plan, dass die Rosensteinentwicklung nicht ohne Konsequenzen für den Stadt- und Sozialraum im Nordbahnhof sein wird. Im Zuge von Stuttgart 21 und Rosenstein wurde im Beteiligungsprozess punktuell ein Licht auf das Viertel geworfen (DB 2022, LHS 2022). Auch der Infoladen e.V., welcher bereits über 20 Jahre die Vermittlung des Bahnprojekts in die Zivilgesellschaft übernimmt, hatte 2016 während der Beteiligung, sein gläsernes Büro mitten im Viertel an der U-Bahn Haltestelle eröffnet. Doch darüber hinaus gibt es für die Bewohner:innen bislang wenig Berührungspunkte zum Rosenstein.

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Die Historie des Viertels geht auf die Industrialisierung zurück. Zur letzten Jahrhundertwende wurden die bis heute erhaltenen Backsteinhäuser als Arbeitersiedlung für Mitarbeitende der Bahn und später der Post, die auch heute noch einen Teil der Bewohner:innen ausmachen, errichtet. Die Innenhöfe der Blockrandbebauung blieben weitestgehend frei und wurden begrünt, sodass das Quartier gegenwärtig noch viel Freiraum und Grün für die Bewohner:innen bietet. Das Viertel entwickelte sich etwas abseits des damaligen Stadtzentrums recht eigenständig. Umschlossen von Bahnlinie und Park auf der einen Seite sowie Friedhof und Bundestraße auf der anderen vermittelt es heute nicht nur aufgrund der besonderen sozialen Struktur den Eindruck einer kleinen Insel. In der Nachkriegszeit beschäftigte die Bahn mehr und mehr Gastarbeitende aus Italien, Portugal und der Türkei, die sich ebenfalls im Quartier niederließen. Die Multikulturalität hat sich bis heute gehalten. Mit 43 % liegt der Anteil ausländischer Bewohner:innen deutlich über dem Stuttgarter Durchschnitt. Durch das bereits 1982 entstandene internationale Stadtteilzentrum Haus 49, das direkt benachbarte Jugendhaus Nord sowie die beiden ansässigen Kirchengemeinden wir der kulturelle Austausch im Viertel stark gefördert. Die anstehende Rosensteinentwicklung wird sich deutlich auf das Viertel und seine Bewohner:innen auswirken, denn durch die neue Bebauung bekommt das bis dato abgeschlossene Quartier auf einmal städtebaulichen Anschluss. Zudem werden auch Infrastrukturen, wie soziale Einrichtungen, öffentliche Räume und Nahversorgung mit den neuen Bewohner:innen geteilt.

• AKTEUR:INNENANALYSE

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Um die Akteur:innenstruktur und Beteiligungsprozesse vor Ort besser zu verstehen, wurden neun Leitfadeninterviews zur Identifizierung gemeinsamer Themen und Akteur:innenverbindungen geführt. Erste Hinweise gab bereits der Sommerworkshop 2021, bei dem Beziehungen zu Schlüsselakteur:innen im Nordbahnhof geknüpft wurden. In diversen informellen Gesprächen stellte sich heraus, dass aufgrund vergangener und zukünftiger Entwicklungen bereits einiges an Initiative im Viertel und an den Wagenhallen existierte und die soziale Netzwerkarbeit recht gut zu funktionieren schien. Bei der Auswahl der Interviewpartner:innen wurde deshalb auf möglichst unterschiedliche Blickwinkel geachtet. Je zwei Befragte vertraten die Planer:innen- und die Anwohner:innenperspektive. Außerdem wurden das Haus 49 und Jugendhaus als soziale Einrichtungen im Nordbahnhofviertel, der Infoladen, der Kunstverein und die Bürgerstiftung interviewt.

Die Bürgerstiftung sowie eine Vertreter:in der Planung nahmen hierbei eine gewisse Sonderstellung ein, die aktuellen Beteiligungsprojekten geschuldet war. So wurde die Bürgerstiftung beispielsweise ausgewählt, da sich bereits in der ersten Umfrage das Thema Jugendliche als prägnant für das Viertel herausgestellt hatte und die Institution kürzlich den Jugenddialog als demokratisches Beteiligungsformat in Kooperation mit dem Jugendhaus durchgeführt hatte. Alle Partner:innen wurden zu den gleichen Themen befragt: Entwicklung und Wahrnehmung des Bestandsquartiers und dessen Bewohnerschaft, Meinungen im Hinblick auf Rosenstein sowie vergangene und gegenwärtige Teilhabe im Viertel betreffend zukünftiger Potenziale eines Beteiligungsverfahrens. Durch eine themen- und netzwerkbasierte Lesart zeigte die Akteur:innenanalyse Ähnlichkeiten und Unterschiede der Schlüsselakteur:innen sowie die Verbindungen der Akteur:innen untereinander auf.

• AFFINITÄTEN UND DIFFERENZEN

Die Auswertung unterteilte die Aussagen in sieben grobe Themenblöcke, wodurch klare Unterscheidungen in Vorkommen und Häufigkeit von Themen zwischen den Interviews ersichtlich wurden. Bei Planer:innen (P) und dem Infoladen (I) stand das Thema Rosenstein im Vordergrund, wohingegen die Anwohner:innen (A) und soziale Einrichtungen (S) mehr über das Viertel und dessen Belange sprachen. Bürgerstiftung (B) und eine Vertreter:in der Planung redeten am meisten über Beteiligung, was nach dem im vorherigen Absatz beschriebenen Grund für die Auswahl der Interviewten zu erwarten war. Auffällig war, dass sowohl Anwohner:innen als auch Kunstverein (K) als direkt Betroffene sehr viele Defizite nannten. Jedoch kann dazu an dieser Stelle generell angemerkt werden, dass bei allen Interviews die Nennung negativer Aspekte wie Defizite und Ängste, die der positiven Potenziale und Wünsche überwog. Im Quervergleich der Ähnlichkeiten aller im Interview genannten Themen zeigte sich erwartungsgemäß, dass sich sowohl Planung und Kunstverein in ihren Nennungen sehr ähnlich waren, als auch alle Vertreter:innen und Anwohner:innen des Nordbahnhofviertels. Auch die Sonderstellung der Bürgerstiftung wurde in dieser Darstellung nochmal verdeutlicht.

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Generell lässt sich sagen, dass Potenziale, Wünsche, Defizite sowie Ängste bei den Prozessgestalter:innen konkret mit der Entwicklung zusammenhingen und die der Prozessbeteiligten eher mit den Konflikten und Lebensumständen im Viertel bzw. an den Wagenhallen. Das Bestandsviertel spielte im bisherigen Prozess keine große Rolle (bei P, A, S, I). Vor allem die sozialen Einrichtungen wünschten sich eine Verbindung des Bestands mit dem Neubau und den Erhalt des Viertels, sahen Potenziale in der Einbeziehung, aber auch notwendige Verbesserungen im Nordbahnhof selbst. Das deutet darauf hin, dass sie als Sprachrohr der Menschen vor Ort eher einen Blick für das große Ganze haben. Die Gefahr eines räumlichen und sozialen Bruchs zwischen dem Bestandsviertel und Rosenstein wurde hingegen auch bei den Planer:innen (1) und dem Infoladen (3) erkannt. Frustration mit dem Thema Beteiligung wurde von allen Befragten (1P, 4A, 5S, 1K, 1B) genannt. Die Gründe dafür liegen zumeist in bisherigen Erfahrungen, die im Verlauf des Prozesses mit Stuttgart 21 und Rosenstein gemacht wurden. In der Wahrnehmung vor allem der Vertreter:innen des Viertels wurden lokale Bedürfnisse nicht wahrgenommen und bisherige Beteiligungsbemühungen schienen zweck- und ergebnislos.

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Ängste im Hinblick auf den anstehenden Beteiligungsprozess aufgrund zu großer Intransparenz (3P) und unzureichender Beteiligung (2A) herrschten auf Planungs- und Anwohner:innenseite. Auch die Gefahr der Gentrifizierung durch den Entwicklungsprozess war ein stark vertretenes Thema bei allen Befragten (3P, 5A, 1S, 2K). Drogen und fehlende Räume für Kinder und Jugendliche sowie damit korrelierend auch Konflikte mit Jugendlichen waren häufig genannte Defizite unter den Vertreter:innen des Bestandsviertels (3A, 4S), aber auch der Wagenhallen (5). Letzteres erklärte sich durch einen spezifischen Vorfall mit Jugendlichen auf dem Areal des Kunstvereins. Planung und Kunstverein, die bereits direkter im Prozess involviert waren, nannten hauptsächlich die Kommunikation als defizitär (4P, 1K). Eine fehlende Verbindung zwischen Nordbahnhofviertel und Wagenhallen (1A, 1S, 2I) und der Wunsch nach mehr Vermischung (2A, 1S) wurde nur durch die Institutionen und Anwohner:innen, nicht aber durch die Vertretung der Wagenhallen genannt.

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• NETZWERK, BRÜCKE, INSEL

In den Interviews wurde eine Vielzahl von im Nordbahnhofviertel oder Entwicklungsprozess agierenden Akteur:innen und Netzwerken genannt, die den Bereichen Quartier, Wagenhallen, soziale Einrichtungen, Stadt und Intermediäre zuzuordnen waren. Auffällig war, dass Anwohner:innen und Einrichtungen verstärkt Akteur:innen und Institutionen aufzählten, die ebenfalls dem Viertel zugehörig waren. Planer:innen und Wagenhallen wiederum nannten überwiegend Akteur:innen, die mit den Wagenhallen und dem »Maker City« Prozess in Zusammenhang standen. Vor allem die Planer:innen sprachen viel über die Stadt bzw. Stadtverwaltung (15P).

Unter den genannten Quartiersakteur:innen stachen bei allen Befragten explizit die Jugendlichen (9A, 21S, 2I, 7K, 2P, 7B) in der Häufigkeit der Nennung heraus. Aber auch Senior:innen, Kinder und junge, neu Hinzugezogene wurden als signifikante Gruppen erwähnt. Stadtverwaltung und Stadtpolitik spielten in den Darstellungen aller Befragten eine Rolle. Wichtige soziale Institutionen schienen das Jugendhaus, das Haus 49, die Kirchengemeinden und Schulen (insgesamt je 25, 23, 11, 17 Nennungen) zu sein. Das anliegende Männerwohnheim verblieb in der Befragung recht unscheinbar. Der Eventbetrieb schien trotz seiner räumlichen Relevanz auf dem Wagenhallenareal sonst bislang keine Rolle im Prozess zu spielen. Auch bei den intermediären Strukturen im Viertel wurden viele Vereine und Initiativen genannt, von denen aber außer dem Infoladen und der Mieterinitiative (insgesamt je 17, 8 Nennungen) folgend aus der Anzahl an Nennungen keine weiteren relevant zu sein schienen. Lediglich der Kleingartenverein, der oft als Beispiel zitiert wurde, überraschte mit sechs Aufführungen.

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In einer weitergehenden Analyse wurde aus den Aussagen in den Interviews herauskristallisiert, welche Funktion die am häufigsten genannten Akteur:innen im sozialen Gefüge einnahmen. Dabei wurden vorab drei unterschiedliche Kategorien festgelegt: Netzwerk, Brücke und Insel. Anschließend wurden diese auf Überscheidungen in den Erzählungen überprüft. Die Kategorie Netzwerk bezeichnete Schlüsselakteur:innen, die auf institutioneller Ebene kooperierten und teils bereits starke Verbindungen ausgebildet hatten. Mit der Brückenfunktion wurden Institutionen oder Initiativen belegt, die zwischen Zivilgesellschaft und institutioneller Ebene vermittelten. Insel wurde als Ausdruck für Akteur:innen genutzt, die eher als isoliert im Gefüge wahrgenommen wurden. Nach diesen Definitionen wurde der Kunstverein, obwohl er auch kooperierend im Netzwerk (5) beschrieben wurde, eindeutig als isolierte Insel (12) wahrgenommen. Das Jugendhaus war das stärkste Netzwerk mit 8 Nennungen. Laut Zählung als größte Brückenbauer:in wurde der Infoladen (7) genannt, gefolgt vom Jugendhaus (5), dem Stadtacker (3), Haus 49 (2) sowie Schule (1) und Kirche (1).

• INTERMEDIÄRE IN DER BETEILIGUNG

Wie an den Wünschen und Ängsten ablesbar ist, scheint es vieler neuartiger Lösungen für Zusammenarbeit, Regularien und Orte zu bedürfen, wenn die Entwicklung von allen Seiten als gelungen wahrgenommen werden soll. Eine aktive, partizipative Einbindung des Bestandsviertels ist unabdingbar, wenn der Erhalt des Bestands und Befürchtungen hinsichtlich Beteiligung und Prozesstransparenz eine Rolle spielen sollen. Bisher genannte Hindernisse für eine erfolgreiche Beteiligung könnten dabei das Desinteresse an der Entwicklung und die Frustration, die schon im bisherigen Beteiligungsprozess entstanden ist, sein. Diese Themen können zu einem großen Teil auch als Auftrag an Stadtverwaltung und -politik gesehen werden, belegt durch überschneidende Nennungen in den Kategorien »Keine Berücksichtigung Bestand«, »Fehlende Unterstützung«, »Fehlende Aufmerksamkeit«, »Frustration mit Beteiligung« und »Intransparenz«. Ansatzpunkte für Verbesserungen könnten die Themen Jugendliche, Treffpunkte und Vernetzung bieten.

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Der Infoladen wurde von den meisten zwar in seiner Brückenfunktion wahrgenommen, jedoch im Zusammenhang mit anderen Themen ebenfalls als eher inaktiv beschrieben. Das Potenzial lag hier nicht nur in der Initiative selbst, sondern vor allem auch in den der Initiative eigenen Räumlichkeiten mitten im bestehenden Stadtviertel. Der Prozess sollte jedoch unbedingt auch auf andere Brückenbauer:innen im Quartier setzen. Mit dem Kinder- und Jugendhaus und dem Haus 49 sind bereits starke Institutionen in dieser Funktion vertreten, deren Anzahl im Hinblick auf soziale Diversifizierung des Viertels ausbaufähig ist. Einen Anreiz bietet hier vielleicht auch die gewünschte Verbindung zu den Wagenhallen und dem Stadtacker. Der Gartenverein wurde in den Interviews bereits ansatzweise als Brückenbauer:in beschrieben und wird mit der Entwicklung sicher mehr ins Bestandsviertel rücken. Wichtig bei all dem ist, wie anfangs durch Selle beschrieben, die Konstanz im Prozess. Damit Beteiligungsbemühungen nicht weiter als zwecklos empfunden werden, dürfen Interessensammlungen oder Beteiligungsaufrufe nicht versanden und Akteur:innen wieder sich selbst überlassen werden (Selle 2011).

Partizipation aus Bürger:innensicht

Sarah Lang-Lehmann

Immer mehr Bürger:innen wollen sich bei der Gestaltung ihres urbanen Umfeldes einbringen und bei Planungen und Entscheidungen, die ihr Stadtviertel und den öffentlichen Bereich betreffen, einbezogen werden. Eine einheitliche Definition von Beteiligung oder Partizipation existiert in der Literatur nicht und es bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Verfahren als Bürger:innenbeteiligung verstanden werden können (Benighaus/Renn/Wachinger 2017). Unter einer Bürger:innenbeteiligung wird im Rahmen dieses Beitrags das Mitwirken der Bürger:innen an einem Planungs- und Entscheidungsprozess verstanden (Fritsche/Nanz 2012). Im Mittelpunkt der Verfahren steht der gegenseitige Aus-tausch mit dem Ziel einer gemeinschaftlichen Meinungsbildung und anschließender Entscheidungsfindung (Fritsche/Nanz 2012), dabei sind Zweck und Ziele von Beteiligungsverfahren vielseitig. Obwohl die Zahl partizipativer Beteiligungsformen in den letzten Jahren gestiegen ist (Fritsche/Nanz 2012), können Bürger:innen häufig nicht nachvollziehen, wie Planungsziele- und Inhalte zustande gekommen sind. Aufklärungs- und Informationsveranstaltungen scheinen nicht ausreichend, um Vertrauensverluste wiederherzustellen (Renn 2013). Daher scheint es sinnvoll, die Möglichkeiten und Grenzen von partizipativen Beteiligungsverfahren genauer auszuloten. Entscheidend ist es dabei, die Erwartungen an solche Verfahren aus Sicht der Bürger:innen zu verstehen, um darauf aufbauend erfolgreiche Formate ableiten zu können. Dazu wurden die folgenden Forschungsfragen aufgestellt, die im Rahmen der im Weiteren beschriebenen Studie beantwortet werden:


1. Welche Erwartungen haben die Bürger:innen an einen Beteiligungsprozess?

2. Was motiviert die Bürger:innen zur Teilnahme?

3. Was macht einen Beteiligungsprozess aus Sicht der Bürger:innen erfolgreich?

Die Sicht der Bürger:innen in den Vordergrund zu stellen scheint vor allem auch deshalb von Bedeutung, da diese Fragen in der Literatur bislang meist nur aus Sicht von Partizipationsexpert:innen und Prozessgestalter:innen beantwortet wurden (Atlee u. a. 2009, Goldschmidt/Renn/Sellke 2014, Goder u. a. (Hrsg.) 2020). So sind Erwartungen aus Sicht von Bürger:innen lediglich vereinzelt Gegenstand der Forschung (Klages 2007, Klages/Vetter 2013, Schröder 2014). Dabei zeigen bisherige Erkenntnisse aus der Literatur, dass die Erfolgsfaktoren, welche von den Partizipationsexpert:innen definiert werden, zwar ähnlich zu den Erfolgsfaktoren aus Sichtweise der Bürger:innen sind, sich jedoch in ihrer Wichtigkeit zu unterscheiden scheinen. So wird deutlich, dass die Partizipationsexpert:innen einen starken Fokus auf die Kriterien Mitgestaltung, Ergebnisoffenheit und passende Rahmenbedingungen legen. Forschungen aus Sicht der Bürger:innen betonen jedoch vor allem zwischenmenschliche Aspekte wie Wertschätzung und Vertrauen oder auch Transparenz. Insgesamt liefern die Ansätze zwar einige Hinweise für einen erfolgreichen Beteiligungsprozess aus Sicht von Bürger:innen, reichen jedoch noch nicht aus, um die Erwartungen der Bürger:innen vollständig abzubilden und die Forschungslücke zu schließen.

Die eingangs aufgeführten Probleme betonen die Notwendigkeit, die Sichtweise der Bürger:innen abzubilden und diese Lücke in der Literatur zu füllen. Ziel dieser Studie war es, Erfolgsfaktoren für städtische Beteiligungsprozesse aus Bürger:innensicht zu identifizieren und zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen Bürger:innen mit dem Ergebnis von partizipativen Entscheidungsprozessen zufrieden sind. Der Fokus dieser Arbeit liegt speziell auf Planungsprozessen im öffentlichen städtischen Raum.

Um die gestellten Forschungsfragen zu beantworten und auch neuen Ideen Raum zu geben, wurde ein qualitativer Forschungsansatz gewählt. Befragt wurden zwei verschiedene Stakeholdergruppen: In der 1. Phase wurden zehn Partizipationsexpert:innen (=P) (drei Männern, sieben Frauen) bestehend aus Wissenschaftler:innen, Prozessverantwortlichen und Planer:innen befragt. Die 2. Interviewphase bestand aus acht Bürger:innen (=B) (fünf Männer, drei Frauen), welche alle Vertreter:innen von Bürgerinitiativen und Stadtteilvereinen im Raum Stuttgart waren. Im Folgenden werden die Ergebnisse der beiden Stakeholdergruppen beschrieben. Dabei beziehen sich alle Fragen stets auf die Sichtweise der Bürger:innen.

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• WARUM AN BETEILIGUNGSPROZESSEN BETEILIGEN?

Im ersten Teil der Befragung wurde nach Gründen für die Teilnahme an einem Beteiligungsprozess aus Sicht der Bürger:innen gefragt. Ein Grund für eine Beteiligung, der von den Partizipationsexpert:innen am häufigsten genannt wurde, ist der Einsatz für das Eigenwohl (10P, 4B). Dies ist der Fall, wenn eine persönliche Betroffenheit, eine persönliche Beziehung zum Prozessgegenstand oder die Angst vor einer negativen Veränderung besteht. Im Gegensatz dazu nannten Bürger:innen als häufigsten Grund den Wunsch nach Mitgestaltung (3P, 7B). Darüber hinaus nannten beide Interviewgruppen, dass Bürger:innen sich dann beteiligen, wenn sie Interesse an dem Projekt haben (1P, 3B), wenn sie von außen zur Beteiligung angeregt werden (2P, 2B) oder weil sie sich für das Gemeinwohl einsetzen wollen (4P, 2B). Zusätzliche Gründe, welche nur von den Partizipationsexpert:innen genannt wurden sind eine politische Motivation (1P), ein konkreter greifbarer Nutzen (1P) oder das Einbringen der eigenen Meinung als Expert:in (2P).

• WO WOLLEN BÜRGER:INNEN BETEILIGT WERDEN?

Bei der Frage danach, bei welchen Themen oder Projekten sich Bürger:innen gerne beteiligen wollen, nannten beide Interviewgruppen Themen, die Bürger:innen direkt betreffen (4P, 7B). Als Beispiele wurden Infrastrukturprojekte und Klima- bzw. Umweltthemen, Mobilität, Bodenvergabe und baurechtliche Entscheidungen angeführt sowie Veränderungen im sozialen Umfeld oder wenn Bürger:innen einen persönlichen Bezug zum Prozessgegenstand haben. Weiterhin wollen Bürger:innen laut beider Stakeholdergruppen vor allem bei Projekten mit einer überschaubaren Laufzeit beteiligt werden (2P, 1B). Ein:e Bürger:in nannte zusätzlich noch, dass das Projekt konkret und greifbar sein müsse. Weiterhin wurde angemerkt, dass eine Beteiligung zum einen von der persönlichen Motivation abhänge (1P) und zum anderen davon, über wie viel Vorwissen die Bürger:innen zu dem Prozessgegenstand verfügen (1B).

• WANN SOLL BETEILIGUNG STATTFINDEN?

Am häufigsten wurde in beiden Stakeholdergruppen eine möglichst frühe Phase zur Beteiligung genannt, da dann noch die Möglichkeit bestehe, bei grundlegenden Entscheidungen mitzuwirken (6P, 5B). Zusätzlich wurde von Bürger:innen, nicht aber von Partizipationsexpert:innen, eine Beteiligung noch vor Prozessbeginn vorgeschlagen (5B). Beide Interviewgruppen erwähnten, dass eine mittlere bzw. Konkretisierungsphase ein Zeitpunkt sei, zu dem Bürger:innen beteiligt werden wollen (5P, 1B). Ferner sei eine kontinuierliche Beteiligung wichtig (2P, 3B). In beiden Interviewgruppen wurde je einmal angemerkt, dass der Zeitpunkt einer Beteiligung projektabhängig sei. Eine Partizipationsexpert:in nannte in dem Zusammenhang ein Beteiligungsparadoxon: Beteiligung soll eigentlich sehr frühzeitig einsetzen, wenn es noch Alternativen bzw. Verhandlungsspielräume gibt, der Großteil der Bürger:innen realisiert jedoch erst, dass sich etwas verändert, wenn die Planungen schon viel weiter fortgeschritten sind.

• WARUM BETEILIGEN SICH BÜRGER:INNEN NICHT WEITER?

Da hohe Abbruchquoten gerne vermieden werden möchten, wurden im Rahmen der Interviews beide Interviewgruppen nach den Gründen für selbige befragt. Der am häufigsten genannte Grund war in beiden Interviewgruppen lange und intransparente Prozesse (7P, 6B). Vor allem Partizipationsexpert:innen führten darüber hinaus eine fehlende Möglichkeit zur Mitgestaltung (7P, 2B) sowie ein unstimmiges Format (3P, 1B) der Beteiligung als Auslöser für einen Abbruch an. Dies ist der Fall, wenn die Bürger:innen beispielsweise die Methode oder Rahmenbedingungen als unpassend erleben. Weiterhin wurden einige Gründe genannt, die sich in den beiden Interviewgruppen unterschieden. So sind nach den Partizipationsexpert:innen ein sinkendes Interesse am Prozessthema (3P), eine fehlende Kommunikation und Information (2P) sowie fehlende Transparenz (3P) Beweggründe der Bürger:innen eine Beteiligung abzubrechen. Nach den Bürger:innen wirken sich hingegen eine fehlende Wertschätzung (4B), fehlende Ergebnisse im Laufe des Prozesses (4B) sowie Enttäuschung oder Ablehnung negativ aus und erzeugen damit eine höhere Abbruchquote.

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• WANN IST BETEILIGUNG ERFOLGREICH?

Beide Interviewgruppen wurden sowohl nach Erwartungen, die Bürger:innen an einen Beteiligungsprozess haben, als auch nach Erfolgskriterien für einen Beteiligungsprozess befragt. Die Antworten auf diese beiden Fragen ähnelten sich in vielerlei Hinsicht. So wurde auf beide Fragen häufig geantwortet, dass die Mitgestaltung sowohl eine Erwartung aus Sicht der Bürger:innen an einen Beteiligungsprozess (9P, 8B) als auch ein Erfolgskriterium sei (10P). Interessant hierbei ist, dass die Mitgestaltung bei den Erwartungen von beiden Interviewgruppen genannt wurde, bei den Erfolgskriterien aber nur von den Partizipationsexpert:innen. Als weiterer wichtiger Punkt wurde von beiden Interviewgruppen sowohl auf die Frage nach den Erwartungen (7P, 4B) als auch nach Erfolgskriterien (8P, 5B) Transparenz und Fairness genannt. Dazu gehört für die Partizipationsexpert:innen eine durchgängige Rückmeldung und Information über den Projektstatus, eine klare Fragestellung sowie ein ehrlicher und klarer Rahmen, welcher die Finanz- und Zeitplanung des Beteiligungsprozesses mit einschließt.

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Darüber hinaus stellen für beide Interviewgruppen eine erfolgreiche Kommunikation (Erwartung an Prozess: 3P, 2B; Erfolgsfaktor: 4P, 4B) und ernst genommen zu werden (Erwartung an Prozess: 4P, 2B; Erfolgsfaktor: 6P, 5B) eine Erwartung und ein Erfolgskriterium für einen erfolgreichen Beteiligungsprozess dar. Nach den Partizipationsexpert:innen ist zudem der Spaßfaktor (2P) eine Erwartung, die Bürger:innen an einen Beteiligungsprozess haben. Beide Interviewgruppen nannten diesen Punkt als Erfolgsfaktor (2P, 1B). Bürger:innen benannten darüber hinaus passende Rahmenbedingungen als wesentliche Erwartung (3B). Dieser Punkt wurde weder von den Partizipationsexpert:innen genannt, noch tauchte er bei der Frage nach den Erfolgskriterien auf. Im Gegensatz dazu spielte für beide Interviewgruppen die Zielerreichung eine Rolle, wenn es um die Erfolgskriterien ging (2P, 1B), nicht aber bei den Erwartungen. Zusätzlich wurden ausschließlich von Bürger:innen die Punkte Ergebnisoffenheit (1B), Vertrauensaufbau (1B) sowie Weiterentwicklung und Wissenszuwachs (2B) als Erfolgskriterien genannt.

• WANN SIND PROZESS ODER ERGEBNIS ZUFRIEDENSTELLEND?

Im Rahmen der Interviews sollte ebenfalls erforscht werden, wann Bürger:innen mit dem Beteiligungsprozess an sich und wann sie mit dem Ergebnis des Prozesses zufrieden sind. Die Frage wurde nur der zweiten Interviewgruppe (Bürger:innen) gestellt, da eine Einschätzung über die Zufriedenheit von den Personen am aussagekräftigsten ist, die direkt beteiligt werden. Als wichtigstes Kriterium für die Zufriedenheit mit dem Beteiligungsprozess wurde die Wertschätzung (5B) genannt. Demnach geht es den Bürger:innen darum, anerkannt und für ihre Beteiligung wertgeschätzt zu werden. Genauso häufig genannt wurde die Kategorie »Sichtbare Fortschritte & Ergebnisse« (5B). So ist es den Bürger:innen wichtig, schnell zu sehen, dass der Prozess vorangeht und ihr Beitrag auch zu Ergebnissen führt. Ebenfalls wurde mehrfach das Entstehen von Gemeinschaft und Kontakten als positiver Einflussfaktor auf die Zufriedenheit mit dem Prozess erwähnt (3B). So sind die Bürger:innen wohl auch mit dem Prozess zufrieden, wenn sie dadurch neue Kontakte knüpfen können und ein Austausch stattfindet. Auch eine Ergebnisoffenheit und Kompromissbereitschaft (2B) sind für die Zufriedenheit mit dem Prozess wichtig. Kriterien, die sowohl zu einer Zufriedenheit mit dem Prozess als auch mit dem Ergebnis führen, sind zudem Transparenz und Nachvollziehbarkeit (2B), die Möglichkeit zur Mitgestaltung (2B) sowie eine professionelle Gestaltung des Prozesses (2B). Unter die professionelle Gestaltung fällt eine gute Begleitung und Moderation des Prozesses sowie ein als angemessen empfundener zeitlicher Aufwand, den die Bürger:innen in ihre Beteiligung investieren müssen. Auch die Zielerreichung trägt zur Zufriedenheit mit Prozess und Ergebnis aus Bürger:innensicht bei (5B).

• VIER WESENTLICHE ERKENNTNISSE FÜR BÜRGER:INNENBETEILIGUNG IN DER PRAXIS

Ziel der Studie war es, einen umfassenden Einblick in Beteiligungen aus Sicht der Bürger:innen zu bekommen. Dabei sollte von zwei verschiedenen Interviewgruppen erfasst werden, welche Erwartungen Bürger:innen an Beteiligungsprozesse haben, was sie zur Teilnahme motiviert und wann sie einen Beteiligungsprozess als erfolgreich betrachten. Aus den Ergebnissen lassen sich dabei vier wesentliche Erkenntnisse und Herausforderungen für Bür-ger:innenbeteiligung in der Praxis ableiten.

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1. Der Konflikt eines unterschiedlichen Fairnessempfindens: Zum einen deuten die Unterschiede hinsichtlich der Erfolgsfaktoren aus Sicht der Partizipationsexpert:innen und aus Sicht der Bürger:innen auf ein unterschiedliches Fairnessempfinden der beiden Gruppen hin. Die Partizipationsexpert:innen scheinen einen besonders hohen Wert auf prozessbezogene Kriterien zu legen und bewerten den Erfolg von Beteiligungsprozessen vor allem auf Grundlage der Verfahrensgerechtigkeit, also wie fair der Prozess gestaltet wurde (Greenberg 2009). Im Gegensatz dazu spielen für die Bürger:innen vor allem zwischenmenschliche Aspekte eine Rolle, das heißt, sie bewerten den Erfolg von Beteiligungsprozessen vor allem anhand der Informations- und interpersonellen Gerechtigkeit. Dies wird in den Interviews besonders daran deutlich, dass die Bürger:innen vor allem Aspekte wie Wertschätzung und Vertrauen nennen sowie Themen wie Austausch, Weiterentwicklung und Spaß erwähnen. Die interpersonelle Gerechtigkeit beschreibt dabei das Ausmaß, in dem den Beteiligten mit Höflichkeit, Würde und Respekt begegnet wird. Die Informationsgerechtigkeit bezieht sich auf die Erklärungen, die den Beteiligten im Rahmen des Prozesses entgegengebracht werden und auf welche Art und Weise die Informationen vermittelt werden (Greenberg 2009). Weiterhin hängt das Fairnessempfinden eng mit dem Vertrauen zusammen, welches Bürger:innen Prozessverantwortlichen entgegenbringen. Auf Grundlage des Modells von Davis/Mayer/Schoormann (1995) bildet sich Vertrauen durch die drei Komponenten Integrität, Wohlwollen und wahrgenommene Kompetenz der Person. Dabei scheint die Integrität besonders zu Beginn einer Beziehung wesentlich für die Bewertung des Vertrauens zu sein (Davis/Mayer/Schoormann 1995). Dementsprechend ist es im Kontext von Beteiligungen besonders zu Beginn des Prozesses zentral, ein hohes Fairnessempfinden durch die Gewährleistung von interpersoneller und Informationsgerechtigkeit zu vermitteln. Dies stellt ein hohes Vertrauen der Bürger:innen her.

2. Ein blinder Fleck der Planer:innen und Bürger:in-nen: Die zweite Erkenntnis aufgrund der Interviews ist, dass auf Seiten der Planer:innen sowie auch auf Seiten der Bürger:innen ein blinder Fleck hinsichtlich der Gestaltung von Beteiligungsprozessen zu bestehen scheint. So überschätzen die Planer:innen oftmals die Zeit, welche Bürger:innen für ihre Teilnahme an einer Beteiligung bereit oder in der Lage sind zu investieren. Weiterhin überschätzen viele Planer:innen das Wissen und die Vorkenntnisse der Bürger:innen. Dies könnte darauf beruhen, dass unterschiedliche Gruppierungen von Bürger:innen unterschiedliches Vorwissen haben und diejenigen mit viel Kenntnissen sich erfahrungsgemäß mehr zu Wort melden. Durch das zum Teil fehlende Vermitteln von Fachwissen zum Prozessgegenstand auf Seiten der Planer:innen scheinen sich die Bürger:innen oftmals nicht ausreichend abgeholt zu fühlen. Der blinde Fleck auf Seiten der Bürger:innen besteht in der Unterschätzung des zeitlichen Aufwands für ihre Teilnahme und der Dauer eines Beteiligungsprozesses. So wollen die meisten Bürger:innen möglichst früh in einen Prozess miteinbezogen werden, haben jedoch auch ein starkes Bedürfnis danach, schnell erste Ergebnisse zu sehen. Gleichzeitig unterschätzen sie oftmals, dass Planungsprozesse sowie erste Ergebnisse häufig einige Jahre dauern und die anfängliche Motivation und das Engagement sinkt im Laufe des Prozesses. Für Prozessgestaltende besteht daher eine große Herausforderung in der Festlegung eines angemessenen Zeitpunkts, an dem Bürger:innen in den Beteiligungsprozess miteinbezogen werden.

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3. Die Relevanz des Zielgruppenverständnisses: Weiterhin scheinen viele Planer:innen wenig Kenntnis über die Bedürfnisse und Interessen der beteiligten Bürger:innen zu haben. Nur wenn sie die Bedürfnisse, die hinter den Beteiligungsinteressen der Büger:innen stehen, nachvollziehen können, können sie dies adäquat im Prozess berücksichtigen. So könnte bei den Bürger:innen beispielsweise ein großes Bedürfnis nach Klarheit und Informationen bestehen, wenn es um ein Thema geht, dass sie in ihrem Lebensumfeld direkt betrifft. In diesem Fall wäre es wichtig, dass die Planer:innen auf dieses Bedürfnis durch eine transparente und direkte Kommunikation eingehen, auch wenn vielleicht noch keine Entscheidung getroffen wurde. Darüber hinaus scheint besonders die Ansprache zur Teilnahme an der Beteiligung einen großen Einfluss darauf zu haben, welche Zielgruppe sich am Prozess beteiligt (durch eine Online-Beteiligung werden beispielsweise mehr jüngere Personen angesprochen). Damit einher geht die Herausforderung, dass in der Praxis oftmals nicht alle Bürger:innen von einem Beteiligungsprozess gleichzeitig erfahren. Denn entsprechend der Zielgruppe des Kommunikationsmediums geschieht die Einbeziehung der Bürger:innen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Dadurch verstärkt sich das Gefühl der Bürger:innen, nicht rechtzeitig in den Beteiligungsprozess einbezogen worden zu sein. Aus diesem Grund sollten sich Planer:innen vor dem Prozess ausreichend damit befassen, welche Zielgruppe sie erreichen wollen und ihre Ansprache sowie Kommunikationsmedien sorgfältig auswählen und individuell anpassen.

4. Das Problem einer fehlenden Entscheidungsfreiheit: Eine weitere Erkenntnis, welche auf Grundlage der Interviews klar wurde, ist die negative Auswirkung durch fehlende Entscheidungsfreiheit und Unwissenheit im Prozess. So ist es besonders problematisch, wenn nicht nur die Bürger:innen das Gefühl mangelnder Entscheidungsfreiheit verspüren oder tatsächlich nicht mitentscheiden können, sondern auch auf Seiten der Planer:innen Einschränkungen hinsichtlich Entscheidungen zu dem Prozessgegenstand entstehen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn auf Grundlage gesetzlicher Inhalte keine Ergebnisoffenheit mehr gewährleistet werden kann oder die Entscheidung von einer dritten Instanz getroffen wird. In dem Fall werden die Bürger:innen häufig viel mehr nur informiert als tatsächlich beteiligt, woraufhin eine große Frustration entsteht. In der Praxis wird dieses Problem auch als »Scheinbeteiligung« bezeichnet. Um Enttäuschungen zu vermeiden, sollten Verantwortliche von Beteiligungsprozessen daher über ein umfassendes Wissen verfügen, welche Möglichkeiten im Prozess tatsächlich realisierbar sind und zu Beginn der Beteiligung klar kommunizieren, welchen Einfluss die Bürger:innen nehmen können.

• AUSBLICK UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN

Die beschriebenen Erkenntnisse und Herausforderungen betonen die Notwendigkeit, die Gestaltung von Beteiligungsprozessen in der Praxis entsprechend anzupassen. Für einen erfolgreichen Prozess ist es demzufolge wichtig, dass sich Planer:innen dieser Herausforderungen bewusst sind und sich ausreichend Gedanken zur zeitlichen und zielgruppenspezifischen Einbeziehung der Bürger:innen machen. Auch sollten Planer:innen vor allem die zwischenmenschlichen Bedürfnisse der Bürger:innen in einem Prozess berücksichtigen und entsprechend agieren. Zusätzlich ist es wichtig, eine tatsächliche Einflussnahme der Bürger:innen gewährleisten zu können und ein angemessenes Erwartungsmanagement sicher zu stellen. Trotz der umfassenden Erkenntnisse sind abschließend weitere Forschungen und praktische Untersuchungen notwendig, um gezieltere Aussage treffen zu können, inwiefern die genannten Empfehlungen die Zufriedenheit und den Erfolg von Beteiligungsprozessen aus Sicht der Bürger:innen tatsächlich verbessern können.